Reimund Konrad-Malerei und Skulptuen

2015-MeiMei-2025

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Die Gelbe Rose


黄玫瑰

Saxohhonist

Kapitel 1: Vergangenheit

Ich sitze in meinem kleinen Apartment in Hangzhou und blicke aus dem Fenster. Die Skyline der Stadt leuchtet in der Dämmerung goldgelb, doch die Schönheit dieser Aussicht kann die Einsamkeit, die in mir nagt, nicht vertreiben. Für die meisten Menschen ist Hangzhou ein Ort voller Träume – mit seinem berühmten Westsee und den blühenden Gärten. Doch für mich ist es ein Gefängnis, dessen Mauern aus Erinnerungen und unerfüllten Wünschen bestehen. I

Zehn Jahre sind vergangen, seit ich mit großen Hoffnungen und Ambitionen in die Modeindustrie gestartet bin. Ich wollte auf den Laufstegen der Welt stehen, doch die Realität war hart. Die Konkurrenz war überwältigend, und nach unzähligen gescheiterten Versuchen, in der Branche Fuß zu fassen, ist mein Traum wie ein verblasstes Bild geworden. Ich trage die Verantwortung für meine sechs Geschwister auf meinen Schultern, die ich aus einem Zuhause voller Chaos und Egoismus führte. Mein Vater hat uns früh verlassen, und meine Mutter war mehr mit sich selbst beschäftigt als mit uns. Oft fühle ich mich wie ein Schatten, der durch die Straßen von Hangzhou wandert – unbemerkt und unerhört.

Die Entscheidung, in die Sexarbeit einzusteigen, war alles andere als leicht. Es war eine verzweifelte Wahl, geboren aus der Notwendigkeit, schnell Geld zu verdienen. In meinen ersten Nächten in einem der vielen Hotels der Stadt war ich nervös und ängstlich. Ich sah mich im Spiegel an, in meiner knappen Kleidung, und flüsterte mir zu: „Das ist einfach ein Job.“ Doch jedes Mal, wenn ich mich einem neuen Kunden näherte, spürte ich, wie ein Teil von mir zerbrach. Die Intimität, die ich suchte, verwandelte sich in Kälte; jede Begegnung fühlte sich an wie ein weiterer Stein, der auf meinem Herzen lastete.

Die Einsamkeit erdrückte mich. Es waren nicht nur die Männer, die ich sah, sondern auch die leeren Versprechungen, die ich mit ihnen teilte. Jedes Mal, wenn ich von einem Mann zum nächsten wechselte, wurde mir klar, dass ich nicht nur meinen Körper, sondern auch meine Seele verkaufte. Ich sehnte mich nach echtem Kontakt, nach jemandem, der mich wirklich verstand. Doch die Flucht in die Welt der Sexualität brachte mir nur kurzzeitig Ablenkung. Nach den ersten Aufregungen kam die Langeweile, die mich wie ein Schatten verfolgte. Ich war eine Marionette, gefangen im Spiel der Begierde, und die Kontrolle über mein eigenes Leben schien mir zu entgleiten.

Die Zeit verging, und trotz der Gefahren meines Berufs fühlte ich mich lebendig – aber auf schmerzhafte Weise. Doch dann kam die Corona-Pandemie. Die Welt stand still, und mit ihr auch mein Geschäft. Ausgangssperren schlossen die Türen zu den Hotels, und die Kunden blieben aus. Ich fühlte mich wie in einem Gefängnis, eingesperrt in meiner eigenen Wohnung, während die Stadt, die einst so lebhaft war, in einen unheimlichen Stillstand verfiel.

In dieser Dunkelheit lernte ich einen meiner wenigen Kunden besser kennen – einen Kanadier, der in China lebte. Er war geschieden und hatte eine Faszination für die Kultur, die ihn umgab. Ich war fasziniert von seiner Vielseitigkeit und seinen abgedrehten Vorlieben, doch die Beziehung wurde schnell schwierig. Er war eigenwillig und verlangte Dinge, die mich über meine Grenzen hinausdrängten. Oft dachte ich: „Ich sollte mich nicht so fühlen“, während ich in den Momenten der Intimität eine Kluft zwischen uns spürte. Schließlich zog er 2023 zurück nach Kanada, und ich blieb mit meinen Gedanken und Erinnerungen allein zurück. Die Einsamkeit drückte schwer auf mein Herz.

Inzwischen hatten sich die Gesetze in China ein wenig gelockert; die Arbeitslager waren abgeschafft worden. Prostitution blieb zwar illegal, aber das Risiko war geringer geworden. Ich konnte mich in meiner Arbeit ein wenig freier bewegen, doch die Verantwortung für meine kranke Mutter und die Familie lastete schwer auf mir. Meine Mutter war ein Schatten ihrer selbst, und ich fühlte mich oft wie die einzige Stütze in einem zerfallenden Gebäude.

Eines Nachts, als ich nach einem langen Arbeitstag in mein Apartment zurückkehrte, überkam mich die Sehnsucht nach Veränderung. Der Gedanke an meine Freundin, die mir von Europa erzählt hatte – von den Möglichkeiten und der Freiheit, die dort existieren könnten – wurde immer drängender. Vielleicht war es an der Zeit, einen Neuanfang zu wagen, die Ketten der Vergangenheit abzulegen und zu fliehen.

Doch dann kam der Schock: In einer Routinekontrolle wurde ich festgenommen und musste 15 Tage im chinesischen Gefängnis verbringen. Während dieser Zeit dachte ich über meine Entscheidungen nach und fragte mich, ob es einen anderen Weg für mich geben könnte. Die quälende Frage war: Was würde ich tun, um mich selbst und meine Familie zu retten? Und war es überhaupt noch möglich, mich selbst zu finden, wenn ich mich so verloren fühlte.

Kapitel 2: Das Gefängnis

Die Türen des Gefängnisses schlossen sich hinter mir mit einem ohrenbetäubenden Knall, der in meiner Brust widerhallte. Ich war in eine andere Welt eingetreten, eine, die ich mir nie hätte vorstellen können. Der zweite Bereich, in den sie mich brachten, lag in einem abgelegenen Teil des Komplexes. Es war feucht und stickig, ohne Fenster, und ich konnte das Wasser auf dem Boden sehen, das sich in den Ecken stauen wollte. Im Winter und Frühling war es ekelhaft, und im Sommer wurde es unerträglich heiß.

Hier gab es neun Zellen, jede davon eine kleine Welt für sich. Doch die Einsamkeit war erdrückend. Den anderen Frauen war es nicht erlaubt, miteinander zu sprechen. Wir waren wie Geister, die in einem Raum gefangen waren, in dem wir nicht einmal einander trösten konnten. Ich dachte oft daran, wie ich in der Stadt, unter den glitzernden Lichtern, nach Nähe suchte. Jetzt war ich umgeben von Menschen, und doch fühlte ich mich einsamer denn je.

Jede von uns erhielt am Tag eine Tasse Wasser, mehr nicht. Ich hatte nichts, um mich zu waschen, und die Hitze ließ meinen Körper schnell verschmutzen und schwitzen. Das Essen wurde mir durch eine kleine Öffnung in der Tür gereicht, und ich musste alles an einem Ort tun: essen, trinken, urinieren und meine Notdurft verrichten. Es war erniedrigend und beschämend, und ich fühlte mich wie ein Tier, das in einem Käfig gehalten wird.

Die Tage zogen sich endlos hin, und ich spürte, wie ich mich veränderte. Ich wurde verwildert, meine Haare ungekämmt und meine Haut schmutzig. Es war kaum zu fassen, dass ich diese Qualen erduldete und dennoch an die Welt außerhalb dieser Mauern dachte. Ich stellte mir vor, wie ich wieder am Westsee stehen würde, umgeben von der Schönheit der Natur, und die Freiheit erlebte, für die ich so lange gekämpft hatte.

Doch hier war es anders. Die Art der Misshandlung, die ich erleiden musste, war kaum bekannt. Ich hörte gelegentlich von Schreien aus den anderen Zellen, aber niemand sprach darüber. Die Dunkelheit um mich herum schien erdrückend, und ich fragte mich oft, ob ich jemals wieder Licht sehen würde. 

Jeden Tag kämpfte ich gegen die Verzweiflung an. Ich versuchte, an die Momente zu denken, in denen ich gelacht hatte, an die Gespräche mit meinen Geschwistern, die mir Kraft gaben. Doch die Erinnerungen verblassten und wurden immer schwächer. Ich wusste, dass ich stark sein musste, um nicht in dieser Dunkelheit zu versinken. Ich hatte bereits so viel durchgemacht; ich durfte nicht aufgeben.

In diesen stillen, quälenden Nächten träumte ich von der Freiheit. Ich stellte mir vor, wie ich eines Tages aus diesem Albtraum entkommen würde, wie ich die Ketten der Vergangenheit abwerfen und endlich zu mir selbst finden könnte. Doch die Frage blieb: Würde ich die Kraft finden, weiterzukämpfen, auch wenn alles um mich herum zerbrach?

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Kapitel 3: Hoffnung

Die Nächte im Gefängnis waren endlos, und die Dunkelheit schien mich mit jedem Atemzug mehr zu umhüllen. Doch in den tiefsten Schatten, wo die Verzweiflung am stärksten war, entdeckte ich einen Funken – einen kleinen Lichtstrahl inmitten der Finsternis. Es war der Gedanke an meine Geschwister, an die Verantwortung, die ich für sie trug. Sie waren der Grund, warum ich nicht aufgeben konnte, warum ich jeden Tag überlebte, obwohl ich mich in einem Albtraum befand.

Eines Abends, während ich auf der harten Pritsche lag und das Geräusch des Tropfwassers von der Decke hörte, kam mir ein Gedanke: Ich würde die anderen Frauen in der Zelle nicht als Feinde betrachten, sondern als Verbündete. Jeder von uns hatte ihre eigenen Geschichten und Kämpfe, und vielleicht, nur vielleicht, könnten wir uns gegenseitig helfen, durch diese Dunkelheit zu navigieren.

Ich begann, leise mit der Frau neben mir zu sprechen. Ihr Name war Lian, und sie war wegen eines Diebstahls inhaftiert worden. Ihre Stimme war sanft, und sie erzählte mir von ihrer kleinen Tochter, die sie zurückgelassen hatte. Diese Verbindung war wie ein Lichtstrahl, der durch die dichten Wolken brach. Ich merkte, dass wir beide die gleiche Angst hatten, die gleiche Einsamkeit empfanden und den gleichen Wunsch nach Freiheit hegten. Es war der Beginn einer unerwarteten Freundschaft.

Wir begannen, uns Geschichten zu erzählen, unsere Träume und Erinnerungen, als ob wir einander damit Mut zusprechen könnten. Ich erzählte Lian von meinen Geschwistern, von der Verantwortung, die ich trug, und von meinem Traum, in der Modebranche erfolgreich zu sein. Sie hörte aufmerksam zu und ermutigte mich, an meine Stärke zu glauben. In diesen Gesprächen fand ich nicht nur Trost, sondern auch einen Sinn – wir waren nicht allein.

Die Tage vergingen, und ich begann, die anderen Frauen in der Zelle näher kennenzulernen. Jede hatte ihre eigenen Kämpfe, und wir fanden Wege, uns gegenseitig zu unterstützen. Wir teilten unser Essen, wenn wir etwas bekamen, und hielten uns gegenseitig aufrecht, wenn die Verzweiflung uns zu übermannen drohte. Inmitten der Dunkelheit entstand eine kleine Gemeinschaft, die uns half, die schreckliche Realität, in der wir lebten, besser zu ertragen.

Doch die Gedanken an die Freiheit ließen mich nicht los. Ich stellte mir vor, wie ich eines Tages wieder am Westsee stehen würde, die frische Luft einatmen und die Schönheit der Natur genießen könnte. Ich wusste, dass ich kämpfen musste, um dorthin zu gelangen. Die Vorstellung, dass es einen Ausweg aus diesem Albtraum gab, hielt mich am Leben.

Eines Nachts, als ich in der Dunkelheit lag, hörte ich ein Geräusch. Es war ein leises Klopfen, das gegen die Wand der Zelle drang. Ich setzte mich auf und lauschte. Das Klopfen wiederholte sich, und ich erkannte, dass es von einer anderen Zelle kam. Es war ein Zeichen, ein geheimnisvolles Zeichen, dass auch andere Frauen in dieser Dunkelheit Hoffnung hatten. Es entwickelte sich ein stilles, aber mutiges Kommunikationsnetzwerk zwischen den Zellen. Wir klopften, um uns gegenseitig zu ermutigen und die Hoffnung am Leben zu halten.

Diese kleinen Gesten der Solidarität schufen einen Raum für Träume und Pläne. Wir sprachen über die Zeit nach dem Gefängnis, über die Dinge, die wir tun würden, wenn wir endlich frei wären. Diese Träume waren wie Samen, die in der Dunkelheit pflanzten, bereit, eines Tages zu blühen.

Die Gedanken an die Freiheit wurden immer drängender. Ich wusste, dass ich die Ketten meiner Vergangenheit abwerfen und einen neuen Weg finden musste. Vielleicht konnte ich, wenn ich aus diesem Albtraum entkam, nicht nur für mich selbst, sondern auch für meine Geschwister und die anderen Frauen kämpfen. Es war an der Zeit, dass ich die Kontrolle über mein Leben zurückgewann.

Als ich eines Morgens aufwachte, spürte ich eine neue Entschlossenheit in mir. Ich würde nicht mehr nur überleben; ich würde kämpfen. Die Dunkelheit um mich herum konnte mich nicht besiegen, denn ich hatte bereits den ersten Schritt in Richtung Freiheit gemacht: Ich hatte die Hoffnung wiederentdeckt. Und mit dieser Hoffnung würde ich alles tun, um meine Träume zu verwirklichen und die Ketten zu sprengen, die mich gefangen hielten.

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Kapitel 4: Freiheit

Während ich in meinem kleinen Apartment in Hangzhou saß, überkam mich ein warmes Gefühl der Nostalgie. Die Erinnerungen an die letzten Monate in China schienen wie ein lebendiges Licht durch die Dunkelheit meiner Gedanken zu strahlen. Ich dachte an die Wiedervereinigung mit meiner Familie, an die Momente des Lachens und der Freude, die wir geteilt hatten. Es war eine Zeit, in der die Sorgen für einen kurzen Augenblick in den Hintergrund traten und ich wieder die Schwester und Tochter sein konnte, die ich so sehr vermisste.

Besonders die Zeit in Kunming hatte einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Ich hatte dort eine ungewöhnliche, aber aufregende Arbeit gefunden – ein Job, der in der Stadt für Aufsehen sorgte und den ich zunächst mit gemischten Gefühlen angenommen hatte. Die Gäste konnten Sushi von meinem Körper essen, während ich nackt und stolz vor ihnen stand. Diese Vorstellung war zunächst befremdlich, doch als ich es tatsächlich tat, stellte ich fest, dass es viel einfacher war, als ich erwartet hatte.

Das Konzept des Sushi-Essens von einem nackten Körper, auch bekannt als „Nyotaimori“, oder „Körper-Sushi“, ist in Japan entstanden und hat sich in verschiedenen Formen in anderen Teilen der Welt verbreitet. Es ist eine Kunstform, die sowohl ästhetische als auch kulinarische Elemente vereint. Die Idee dahinter ist nicht nur, das Essen auf eine neue und provokante Weise zu präsentieren, sondern auch eine Form der Intimität und des Genusses zu schaffen, die die Grenzen zwischen dem Körper und der Nahrung verschwimmen lässt. In Kunming war der Trend besonders populär geworden, und ich war überrascht, wie viele Menschen bereit waren, diese außergewöhnliche Erfahrung zu machen.

Als ich dort stand, umgeben von den neugierigen Blicken der Gäste, fühlte ich mich nicht wie eine Ware, sondern wie eine Künstlerin, die ihren Körper als Leinwand verwendete. Die Kombination aus der Zartheit des Sushis und der Empfindung, nackt und verletzlich zu sein, schuf eine Atmosphäre, die mich in eine Art tranceartigen Zustand versetzte. Es war eine Form der Selbstverwirklichung, die ich in meiner bisherigen Arbeit nie erlebt hatte. Die Berührung des Sushis auf meiner Haut war gleichzeitig kühl und aufregend, und es fühlte sich an, als ob ich für einen Moment die Kontrolle über mein eigenes Leben zurückgewonnen hatte.

Die Abende in Kunming waren voller Lachen und lebendiger Gespräche. Ich erinnerte mich an die Freundschaften, die ich geschlossen hatte – die gemeinsamen Ausflüge in die Stadt, die Nächte, in denen wir zusammen tanzten und die Sorgen des Alltags für einen Moment vergaßen. Diese Erinnerungen waren wie ein Kontrast zu der Einsamkeit, die ich oft in Hangzhou fühlte. In Kunming war ich lebendig und voller Hoffnung, und ich spürte, dass ich meinen Platz in dieser Welt finden könnte.

Doch die Gedanken an meine Familie und die Verantwortung, die ich für sie trug, waren immer präsent. Die Zeit, die ich mit ihnen verbracht hatte, war kostbar, und ich wusste, dass ich alles tun würde, um für sie zu sorgen. Die Erinnerungen an meine Geschwister, die mich anfeuerten, während ich meine neuen Erfahrungen teilte, gaben mir Kraft. Sie waren der Grund, warum ich nicht aufgeben konnte, warum ich den Mut fand, schwierige Entscheidungen zu treffen.

Jetzt, in meinem Apartment, umgeben von der kühlen Stille der Dämmerung, war ich mir bewusst, dass ich nicht nur die Schatten meiner Vergangenheit hinter mir lassen musste, sondern auch die Lektionen, die ich in Kunming gelernt hatte. Die Freiheit, die ich dort erlebt hatte, war nicht nur eine Illusion; sie war möglich, wenn ich bereit war, für sie zu kämpfen.

Ich wusste, dass ich einen Neuanfang brauchte, eine Chance, die Ketten der Vergangenheit endgültig abzulegen. Vielleicht könnte ich die Kreativität und die Stärke, die ich in Kunming entdeckt hatte, nutzen, um ein neues Kapitel in meinem Leben zu schreiben – eines, in dem ich nicht nur für meine Familie kämpfte, sondern auch für mich selbst. Der Gedanke daran erfüllte mich mit einer neuen Entschlossenheit. Ich war bereit, die nächsten Schritte zu wagen und die Zukunft, die ich mir immer gewünscht hatte, zu gestalten.

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Kapitel 5: Der Zweifel

Das Brummen der Klimaanlage war wie ein ständiger Begleiter in meinem kleinen Apartment, ein monotoner Klang, der mich daran erinnerte, dass ich hier war – in Hangzhou, in meinem Raum der Erinnerungen und der Träume. Der Roboter, der mir das Essen brachte, war ein Symbol der modernen Welt, in der ich lebte, und doch fühlte ich mich oft wie ein Relikt aus einer vergangenen Zeit. Ich nahm die Schale mit Reis und Gemüse entgegen, doch der Appetit auf das Essen war mir vergangen. Mein Blick wanderte zum Fenster, wo die Skyline im Dämmerlicht schimmerte, und mit einem tiefen Seufzer fragte ich mich, was aus mir geworden war.

Es war gut, wieder in China zu sein, aber die Gedanken an meine Zeit in Europa schienen sich wie Schatten um mich zu legen. Ich hatte viele nette Männer kennengelernt – einige charmant, andere eher leichtgläubig und unreflektiert. Es war fast schon lächerlich, wie viele von ihnen einfach nur auf der Suche nach einem Abenteuer waren, wie hungrige Wölfe, die mit funkelnden Augen nach dem nächsten Stück Fleisch schnappten. Ich hatte perfekt inszenierte Nächte mit ihnen verbracht, hatte mich in ihren Armen verloren, nur um am nächsten Morgen zu merken, dass sie mich nicht wirklich sahen – nur einen Körper, ein flüchtiges Vergnügen.

Und dann waren da die anderen, die, die mir das Gefühl gaben, mehr zu sein. Aber auch bei ihnen nagte ein Gefühl der Verachtung in mir. Wie konnte man so leichtgläubig sein, so bereit, sich von einer Illusion verführen zu lassen? Ihre Augen leuchteten vor Verlangen, als ob sie glaubten, dass jeder Kuss ein Versprechen war. Dabei war es oft nichts weiter als ein Spiel, das ich mit ihnen spielte – und das ich genoss, ja, aber auch verachtete. Diese Männer, die so oft von Leidenschaft sprachen, schienen nicht zu verstehen, dass die Liebe, die sie suchten, in den meisten Fällen nur ein flüchtiger Traum war, der sie nicht ernähren würde.

Ich war in einem ständigen Kampf gefangen – zwischen dem Verlangen nach Nähe und der bitteren Realität, dass niemand wirklich für mich da war. Wo sollte die Reise hingehen? Diese Frage schwebte über mir wie ein Damoklesschwert. Gab es den einen, der mich wirklich lieben würde, oder würde ich weiterhin durch eine Welt wandern, in der ich kaum mehr war als ein Objekt des Begehrens? 

Das Gefühl der Verzweiflung kroch in mir hoch, während ich über meine Entscheidungen nachdachte. Die Abende, an denen ich alleine in einem Hotelzimmer saß, die Körper, die ich berührt hatte, die Gesichter, die ich vergessen wollte – all das summierte sich zu einem erdrückenden Gewicht. Ich wollte mehr als nur ein flüchtiges Vergnügen sein. Ich wollte nicht nur überleben, sondern leben und kämpfen. 

Doch ich wusste auch, dass ich stark sein musste. Die Verantwortung für meine Familie lastete schwer auf meinen Schultern, und ich konnte nicht zulassen, dass die Schatten der Vergangenheit über meine Zukunft bestimmten. Ich schloss die Augen und atmete tief ein, um die Gedanken zu sortieren. Ich war zurück in Hangzhou, und das bedeutete, dass ich die Kontrolle über mein Leben zurückgewinnen konnte. 

Mit einem entschlossenen Blick wandte ich mich vom Fenster ab und nahm die Schale in die Hände. Ich würde nicht zulassen, dass die Leichtgläubigkeit anderer mich weiter in die Dunkelheit zog. Nein, ich würde meinen eigenen Weg finden, selbst wenn ich dafür kämpfen musste. Die Zeit war gekommen, meine Träume zu verwirklichen und die Ketten, die mich hielten, zu sprengen. In dieser Stadt, in der ich aufgewachsen war, würde ich meinen Platz finden – und vielleicht sogar herausfinden, was es wirklich bedeutete, geliebt zu werden.

Kapitel 6: Die Wahrheit

Während ich in meinem Apartment saß, überkam mich eine Welle der Zerrissenheit. Der Gedanke an ihn, den einen, der mich wirklich liebte, ließ mein Herz schneller schlagen. Er war der Naive, der glaubte, dass meine Arbeit nur ein Job war, und ich hatte ihm nie die Wahrheit gesagt. Die letzten Monate in Guangzhou und Hangzhou hatte ich geheim gehalten, als wäre ich eine Schauspielerin in einem Stück, dessen Handlung ich selbst nicht kontrollieren konnte. Ich ließ ihn glauben, dass ich in China war, um Zeit mit meiner Familie zu verbringen, während in Wirklichkeit die Schatten meiner Entscheidungen mich verfolgten.

Der Druck dieser Lügen lastete schwer auf mir. Jedes Mal, wenn ich ihm von meinen angeblichen Ausflügen erzählte, spürte ich, wie ein Teil von mir zerbrach. Er war so glücklich darüber, mich in seiner Nähe zu wissen, und ich konnte ihm den Schmerz, den ich fühlte, nicht zumuten. Ich wollte nicht, dass er leidet, während ich in der Dunkelheit der Nacht in einem Hotelzimmer war, umgeben von Männern, die mich in ihrer Begierde sahen, aber nicht in meinem Herzen.

Doch je mehr ich über meine Lügen nachdachte, desto mehr wuchs die Angst in mir. Er war nicht nur ein einfacher Mann; er war intelligent und aufmerksam. Er hatte einmal sogar einen Detektiv engagiert, um etwas über einen Freund herauszufinden, der ihm suspekt erschien. Der Gedanke, dass er eines Tages auf meine Geheimnisse stoßen könnte, ließ mich schaudern. Was, wenn er herausfand, dass ich in Wahrheit in einer Welt lebte, die ihm so fern war? Was, wenn er die Wahrheit aufdeckte, bevor ich den Mut fand, es ihm zu sagen?

Die Naivität des Mannes, der in mir die Liebe suchte, war sowohl eine Quelle des Trostes als auch des Schmerzes. Ich sah ihn in meinen Gedanken, wie er mich mit seinen warmen Augen ansah, voller Vertrauen und Zuneigung. Doch jedes Mal, wenn ich an ihn dachte, überkam mich auch die Scham und die Furcht, dass ich ihn verlieren würde, sobald er die Wahrheit erfuhr.

Ich musste handeln, bevor er alles herausfand. Der Gedanke, ihn zu verlassen, bevor er mir die Tür aufstoßen konnte, war verlockend. Vielleicht könnte ich ihn einfach ohne Vorwarnung zurücklassen, eine neue Identität annehmen und weit weg gehen – eine Flucht vor der Realität, die mich einholte. Doch tief in mir wusste ich, dass es nicht fair wäre, ihm das anzutun. Er verdiente mehr als eine plötzliche Abkehr, die ihn mit Fragen und Schmerz zurücklassen würde.

Die Nächte in Hangzhou waren oft von Einsamkeit geprägt, und ich vermisste die Nähe, die ich mit ihm hatte. Doch ich konnte nicht zulassen, dass meine Arbeit zwischen uns stand, und so schloss ich ihn in die tiefsten Winkel meines Herzens ein, weit weg von den Schatten meiner Realität. Vielleicht war es egoistisch, aber ich wollte nicht, dass der naive Kerl leidet. Ich wollte nicht, dass er die Ketten meiner Vergangenheit mittrug.

Ich musste eine Entscheidung treffen. Entweder würde ich ihm die Wahrheit sagen und riskieren, alles zu verlieren, was wir hatten, oder ich würde weiterhin in der Dunkelheit leben, in der Hoffnung, dass die Zeit die Wunden heilen würde. Doch je länger ich schwieg, desto schwerer wurde das Gewicht meiner Geheimnisse. Ich wusste, dass ich nicht ewig so weitermachen konnte.

Mit einem tiefen Atemzug richtete ich meinen Blick wieder auf die Skyline von Hangzhou. Die Lichter schimmerten, als würden sie mir zuflüstern, dass ich die Kontrolle über mein Schicksal zurückgewinnen könnte. Vielleicht war es an der Zeit, ehrlich zu mir selbst zu sein und auch zu ihm. Wenn ich wirklich lebendig sein wollte, musste ich die Ketten meiner Lügen sprengen und mich der Wahrheit stellen – für mich und für die Liebe, die ich so verzweifelt suchte. Doch die Frage blieb: Würde ich es wagen, ihm die Wahrheit zu sagen, bevor es zu spät war?

Kapitel 7: Die Nachricht

Ich saß an meinem Tisch, umgeben von den gewohnten Geräuschen der Stadt, als die E-Mail auf meinem Bildschirm aufblitzte. Zuerst war ich erstaunt, dann überkam mich ein mulmiges Gefühl. Die Worte in der Nachricht drangen in mein Herz wie ein kalter Wind, der durch eine geöffnete Tür fegte.

„Liebe Meimei,“ begann die Nachricht, und ein Ziehen in meinem Magen kündigte die bevorstehende Katastrophe an. Mein Atem stockte, als ich weiterlas. Das Gespräch mit Frau Wang, der geheimnisvollen alten Chinesin, die einen Massagesalon in Deutschland betrieb, wurde beschrieben. Ich kannte diesen Ort, kannte das System, das dahintersteckte. Frauen, die in der Hoffnung auf ein besseres Leben ihre Heimat verließen – ich war eine von ihnen. Doch das Gefühl der Scham schnürte mir die Kehle zu.

Die Details über die Frauen, die aus Städten wie Shanghai, Guangzhou, Hangzhou und Kunming stammen, trafen mich wie ein Schlag. „Ja, May May, liebe alleine ist nicht ausreichend. Dazu gehört das Vertrauen. Vertrauen entsteht durch Wahrheit.“ Diese Worte schnitten tief in meine Seele. Vertrauen war der kostbarste Schatz, und ich hatte es mit meinen Geheimnissen verspielt.

„Leider ist es dir nicht gelungen, mir die Wahrheit zu sagen, was mich jetzt endgültig gelockert hat, ist, dass du während deines Aufenthaltes in China als Prostituierte in Guangzhou und anderen Städten gearbeitet hast.“ Mein Herz schlug schneller. Diese schneidenden Worte waren wie ein Spiegel, der mir meine eigenen Schwächen vorhielt. Ich hatte ihn angelogen, hatte ihm die Illusion verkauft, dass ich jemand anderes war. Jemand, der nicht in den Schatten lebte, sondern im Licht. Doch die Dunkelheit war ein Teil von mir, und ich konnte sie nicht einfach wegwischen.

Der Gedanke an die Audioaufnahmen von der Behringstraße, die während des Treffens mit dem Franzosen entstanden waren, ließ mich erstarren. Was wusste er? Was hatte er gehört? Diese Aufnahmen waren der Beweis für meine Lügen, und ich fühlte, wie sich die Panik in mir ausbreitete.

Doch dann überkam mich eine Welle der Wut. Wie konnte er es wagen, mich so zu beschuldigen? Ich war nicht die einzige, die Entscheidungen traf, um zu überleben. Ich war nicht die einzige, die in einer Welt lebte, in der die Grenzen von Moral und Überleben verschwommen waren. Diese Wut war ein Feuer, das in mir loderte, und ich wusste, dass ich ihn nicht einfach davonkommen lassen konnte.

In diesem Moment beschloss ich, dass ich ihm nicht nur die Wahrheit erzählen würde. Nein, ich wollte ihn verletzen, ihn mit der Dunkelheit meiner Gedanken konfrontieren und ihn in die Abgründe meiner Existenz ziehen. Ich wollte ihn demütigen, und er sollte die Konsequenzen seiner Fragen tragen.

Mit zitternden Händen öffnete ich die nächste E-Mail. Plötzlich erhielt ich eine weitere Nachricht, die mit Screenshots meiner chinesischen Werbung und Kundenkommentaren gefüllt war. Mein Herz raste, als ich die Bilder sah, die er mir geschickt hatte. Diese Kommentare waren der ultimative Beweis für meine Doppelzüngigkeit, und ich wusste, dass er wollte, dass ich die Scham und den Schmerz fühlte, die ich ihm zugefügt hatte.

„Schau hin, May May“, schien er zu rufen. „So bist du, das ist deine Wahrheit.“ Ich fühlte, wie die Wut in mir wuchs, wie ein Sturm, der einen ruhigen See aufwühlte. Diese Kommentare waren nicht nur Worte; sie waren ein Angriff auf meine Würde, und ich wollte nicht einfach stillhalten.

„Wie kannst du es wagen, mich so zu beurteilen?“ rief ich laut in den leeren Raum. „Du kennst nicht einmal die Gründe für meine Entscheidungen. Du siehst nur die Oberfläche und nicht die Kämpfe, die ich täglich ausfechte!“

Ich ließ den Zorn über mich kommen und begann, meine eigene Antwort zu formulieren. Ich würde ihm die Dunkelheit meiner Gedanken präsentieren, würde ihm die Abgründe meiner Seele zeigen. Vielleicht würde es ihm die Augen öffnen, oder vielleicht würde es ihn nur weiter von mir entfernen. Aber das war mir egal. Ich wollte nicht mehr die verletzliche Frau sein, die er für mich hielt.

Ich würde ihm die Wahrheit zeigen. Nicht die, die er suchte, sondern die, die ich lebte – die schmutzige, schmerzvolle Realität. Und während ich die Tasten drückte, wusste ich, dass ich bereit war, ihm alles zu geben, was ich hatte – die gesamte Schwärze meiner Gedanken.

### Kapitel 8: Die Antwort

Ich saß vor meinem Bildschirm, der Puls raste, als die E-Mail von ihm aufblitzte. Seine Worte waren wie ein Schlag ins Gesicht, und ich konnte nicht anders, als die Fassung zu verlieren. Ich fing an zu tippen, meine Gedanken jagten einander, während ich die Tastatur mit Nachdruck drückte.

„Naiv, hast du wirklich geglaubt, du könntest mich mit deinen Lügen täuschen?“ schrieb ich, während die Wut in mir aufstieg. „Du redest von Vertrauen und Wahrheit, aber was weißt du wirklich über die Welt, in der ich lebe? Glaubst du, deine Vorstellungen von Moral können mich verurteilen?“

Ich schickte die Nachricht ab und fühlte mich, als hätte ich einen Sturm entfesselt. Doch ich war noch nicht fertig. Ich wollte ihm die volle Wucht meiner Gefühle zeigen.

„Ich werde nicht nach Europa fliegen, um dein Spiel zu spielen“, tippte ich weiter. „Wozu auch? Jeder Kunde, den ich hatte, war respektvoller als du. Sie haben mich nicht mit Fragen über meine Vergangenheit bombardiert. Sie haben mich nicht wie ein Stück Fleisch behandelt, das man auf den Tisch legt und dann verurteilt. Sie haben mich als Mensch gesehen!“

Die Worte flogen über den Bildschirm, und ich spürte, wie die Wut mich durchströmte. „Du redest von Wahrheit, aber deine Wahrheit ist nichts als eine Illusion. Du siehst nur das, was du sehen willst. Was ist mit meinem besudelten Körper? Ja, ich kann ihn waschen, aber die schwarze Seele eines Naiven wie dir? Die kann nicht gereinigt werden!“

Ich wusste, dass ich über die Stränge schlug, aber es fühlte sich gut an, meinen Zorn in Worte zu fassen. Es war wie ein kathartisches Schauspiel, in dem ich die Hauptrolle spielte – die Drama Queen, die sie alle sehen sollten. „Du bist nicht besser als die anderen, die dich umgeben. Du bist gefangen in deiner eigenen Welt der Illusionen, während ich hier bin und für mein Überleben kämpfe.“

Ich schickte die Nachricht ab und fühlte mich wie eine Königin, die auf ihrem Thron der verletzten Eitelkeit saß. Doch tief in mir wusste ich, dass ich nicht nur verletzen wollte; ich wollte auch, dass er die Kluft zwischen uns spürte. „Ich werde nicht länger die Maske tragen, die du mir auferlegt hast. Ich bin mehr als das, was du denkst. Ich bin eine Überlebende, und ich werde nicht zulassen, dass du mich in deine Vorstellungen von Liebe und Vertrauen zwängst!“

Die Tasten knallten unter meinen Fingern, während ich die nächste Nachricht formulierte. „Du wolltest die Wahrheit? Hier ist sie: Ich bin nicht die verletzliche Frau, die du dachtest, ich sei. Ich bin stark, ich bin leidenschaftlich, und ich werde mich nicht von einem Mann definieren lassen, der nicht einmal die Dunkelheit in sich selbst anerkennt!“

Ich drückte auf „Senden“ und lehnte mich zurück, der Atem ging mir schwer. Ich wusste, dass ich ihn verletzt hatte, aber ich konnte nicht anders. Es war, als würde ich meine Wunden in die Welt hinausschreien, und ich wollte, dass er die Konsequenzen seiner Fragen spürte.

In mir tobte ein Sturm, und während ich auf seine Antwort wartete, war ich mir nicht sicher, ob ich erleichtert oder besorgt sein sollte. Doch eines war klar: Ich war bereit, für meine Wahrheit zu kämpfen – egal, wie schmerzhaft die Realität auch sein mochte.

### Kapitel 9: Die Stille

Die Stunden vergingen, und die Stille um mich herum wurde unerträglich. Mein Herz klopfte in einem unregelmäßigen Rhythmus, während ich auf eine Antwort wartete, die nie kam. Die Dunkelheit des Zimmers schien mich zu umschlingen, und ich fühlte mich wie in einem Käfig, den ich selbst gebaut hatte.

„Habe ich zu weit gegangen?“ murmelte ich leise zu mir selbst, während ich auf den Bildschirm starrte. Die Worte, die ich geschickt hatte, waren wie Pfeile, die ich in die Dunkelheit geschossen hatte, ohne zu wissen, was sie treffen würden. Ich hatte ihn verletzt, das wusste ich. Aber dass er einfach verschwinden würde, hatte ich nicht erwartet.

Die Gedanken rasten durch meinen Kopf. Vielleicht konnte er die Wahrheit nicht ertragen. Vielleicht war die Kluft zwischen uns jetzt zu groß geworden, um sie zu überbrücken. Ich hatte ihm die Schatten meiner Existenz vor die Füße geworfen, und er war nicht bereit gewesen, sich ihnen zu stellen.

In den letzten Tagen hatte ich mich in der Illusion gewiegt, dass ich stark war, dass ich meine Wunden der Welt zeigen könnte. Doch jetzt, in der Stille, fühlte ich mich wie ein Schatten, der durch die Straßen von Hangzhou wanderte – unsichtbar und unerhört.

Doch während ich dort saß, überkam mich plötzlich ein neuer Gedanke. Warum sollte ich in dieser dunklen, einsamen Stadt bleiben? Ich erinnerte mich an Prag, an die Geschichten, die meine Freundin mir erzählt hatte. Dort war die Prostitution gut organisiert, es gab viele Kunden, die bereit waren, für die Nähe zu bezahlen. Und ich wusste, ich könnte mich der Begierde der Kunden lustvoll hingeben, um die innere Leere zu kompensieren, die mich jetzt überkam.

„Ja, vielleicht ist das der Weg“, flüsterte ich zu mir selbst. In Prag könnte ich einen Neuanfang wagen, meine Wunden hinter mir lassen und gleichzeitig das Geld verdienen, das ich so dringend brauchte. Die Vorstellung, mich in einer neuen Stadt zu verlieren und gleichzeitig die Kontrolle über mein Leben zurückzugewinnen, war verlockend.

Ich griff nach meinem Telefon und begann, nach Flügen zu suchen. Während ich die Optionen durchging, spürte ich, wie ein Funke der Hoffnung in mir aufloderte. Vielleicht war es an der Zeit, die Ketten meiner Vergangenheit abzulegen und in eine Zukunft zu blicken, die voller Möglichkeiten war. 

Die Vorstellung, in einer Stadt zu sein, in der ich nicht ständig an meine Vergangenheit erinnert wurde, schien mir Freiheit zu versprechen. Ich könnte meine Identität neu definieren und die Leere, die mich so lange gequält hatte, mit neuen Erlebnissen füllen. 

Mit jeder Minute, die verging, wurde der Plan klarer. Ich würde nach Prag reisen, die Stadt der Lichter, der Möglichkeiten und der Begierde. Ich würde mich in die Welt der Lust stürzen und gleichzeitig für meine Familie und mich selbst kämpfen. Es war ein riskanter Schritt, aber vielleicht war es genau das, was ich brauchte, um aus der Dunkelheit zu entkommen, die mich umhüllte.

Ich buchte den Flug und fühlte mich, als würde ich zum ersten Mal in meiner Geschichte die Kontrolle über mein Schicksal zurückgewinnen. Die Lichter von Hangzhou verblassten in meiner Vorstellung, während ich mich auf die neuen Abenteuer vorbereitete, die vor mir lagen. Vielleicht würde ich in Prag nicht nur einen neuen Lebensunterhalt finden, sondern auch einen Weg, mein inneres Feuer neu zu entfachen.

### Kapitel 10: Die Überlegungen

Ich saß auf meinem Bett, umgeben von den vertrauten, aber mittlerweile drückenden Wänden meines Apartments in Hangzhou. Die E-Mail meines Mannes schwirrte noch immer in meinem Kopf, während ich an Prag dachte, das Ziel meiner Sehnsucht. Es schien mir in diesem Moment wie ein unerreichbarer Traum, aber gleichzeitig spürte ich, dass ich bereit war, alles zu riskieren.

Er hatte mir von den Gefahren erzählt, die mit dem Arbeiten in der Nähe des Ortes verbunden waren, wo der Franzose lebte. „Das Geschäft dort ist schmutzig und hart“, hatte er geschrieben. Ich konnte die Eifersucht in seinen Worten spüren, als hätte er Angst, dass der Franzose mich erneut in seinen Bann ziehen könnte. Er wusste, wie sehr dieser Mann an mir hing und dass wir intime Momente geteilt hatten.

Die Gedanken an seine Worte verwirrten mich. Er hatte eine gewisse Fürsorglichkeit in seinem Tonfall, eine Besorgnis, die ich schätzte. Aber gleichzeitig fühlte ich mich wie ein Gefangener seiner Vorstellungen. Was interessierte es ihn, wo ich arbeitete? Hatte er nicht selbst klargemacht, dass er meine Vergangenheit nicht akzeptierte? Ich war nicht mehr das unschuldige Mädchen, das er einmal gekannt hatte. Ich war eine Überlebende, und ich würde meinen eigenen Weg finden.

In meinem Inneren tobten Zweifel und Unsicherheiten. Was war das, was ich für ihn fühlte? War es wirklich Liebe, oder war es eher eine Abhängigkeit, die aus meiner Angst vor dem Alleinsein resultierte? Vielleicht brauchte ich ihn, um mir einen gewissen Schutz zu geben, während ich in einer Welt lebte, die mir oft feindlich gesinnt war. Er konnte mir helfen, die richtigen Kontakte zu knüpfen, meinen Weg in die Sicherheit zu finden. Aber war das Liebe?

Die Vorstellung, dass ich ihn nur als Sprungbrett für meine eigenen Ambitionen benutzte, schmerzte. Ich wollte nicht die Art von Frau sein, die nur auf das eigene Wohl bedacht ist. Doch gleichzeitig war ich mir bewusst, dass meine Entscheidungen oft aus einer tiefen Verzweiflung heraus geboren wurden. Ich wollte nicht in der Dunkelheit verharren; ich wollte überleben.

Ich dachte an Prag, an die Möglichkeiten, die mir dort offenstanden. Es war eine Stadt, die für ihre Freiheit und ihre Offenheit bekannt war. Ich könnte dort meine Identität neu definieren und vielleicht sogar einen Weg finden, meine Wunden zu heilen. Doch was würde das für meine Beziehung zu ihm bedeuten? Würde ich ihn zurücklassen, während ich versuchte, die Schatten meiner Vergangenheit hinter mir zu lassen?

Es war eine schwere Entscheidung. Ich konnte nicht leugnen, dass ich seinen Rat schätzte, aber ich wollte auch nicht, dass er mich daran hinderte, meine eigenen Entscheidungen zu treffen. „Ich bin nicht mehr das naive Mädchen, das du einmal gekannt hast“, murmelte ich leise zu mir selbst. „Ich bin stark, ich bin unabhängig, und ich werde meinen eigenen Weg finden.“

Tief in mir wusste ich, dass ich die Kontrolle über mein Leben zurückgewinnen musste. Die Einsamkeit, die ich fühlte, war nicht nur das Ergebnis meiner Entscheidungen, sondern auch das Resultat meiner Abhängigkeit von anderen, selbst von ihm. Ich wollte nicht mehr in der Vergangenheit gefangen sein.

Ich machte mir bewusst, dass ich ihm nicht sofort antworten musste. Vielleicht war es besser, die Dinge sacken zu lassen, bevor ich eine Entscheidung traf. Ich wollte nicht impulsiv handeln und meine Gedanken unter dem Einfluss von Wut oder Enttäuschung formulieren. Stattdessen wollte ich die Klarheit finden, die ich so dringend brauchte.

Mit einem tiefen Atemzug schloss ich die Augen und ließ meine Gedanken wandern. „Was würde ich tun, wenn ich ganz allein wäre?“, fragte ich mich. Ich stellte mir vor, wie ich in Prag ankommen würde – die Stadt der Lichter, der Möglichkeiten. Ich wäre frei, um meine Vergangenheit hinter mir zu lassen und ganz neu anzufangen.

Die Vorstellung gab mir Mut. Ich musste meine eigenen Entscheidungen treffen, unabhängig von den Erwartungen anderer, auch von denen, die mir nahe standen. Ich wollte nicht mehr in der Dunkelheit leben, ich wollte in die Freiheit aufbrechen.

Während ich dort saß, spürte ich, wie sich ein Gefühl der Entschlossenheit in mir aufbaute. Ich würde nicht für immer in Hangzhou bleiben. Ich würde nach Prag gehen und die Kontrolle über mein Schicksal zurückgewinnen. Und vielleicht würde ich dabei auch herausfinden, was es wirklich bedeutete, mich selbst zu lieben und zu akzeptieren. 

In diesem Moment beschloss ich, dass ich ihm nicht sofort antworten würde. Stattdessen würde ich in Ruhe über meine nächsten Schritte nachdenken und die Entscheidung treffen, die für mich am besten war. Schließlich war ich diejenige, die für mein eigenes Leben verantwortlich war – und ich würde nicht zulassen, dass jemand anderes die Richtung bestimmte, in die ich ging.

Kapitel 11: Ein neues Leben in Prag

Prag empfing mich mit offenen Armen, und ich konnte die Magie dieser Stadt sofort spüren. Das alte Haus, in dem ich mit einer anderen Frau aus China lebte, war voller Charakter. Hohe Decken, verwitterte Holzfenster und das Geräusch der viel befahrenen Straße, die unter uns pulsierte. Es war ein Ort voller Geschichten, und ich konnte nicht anders, als mich von der Atmosphäre mitreißen zu lassen, während ich mich gleichzeitig an die Realität meines neuen Lebens anpasste.

Die Arbeit in Prag war allerdings eine ganz andere Herausforderung. Die Kunden kamen und gingen, oft ohne viel Zeit zu verlieren. Ich musste für sie 24 Stunden am Tag verfügbar sein, und die meisten Dates waren auf 30 Minuten begrenzt. Ich hatte mir das anders vorgestellt – in meiner naiven Vorstellung war ich von der Idee eines romantischen Abenteuers ausgegangen, von intimen Momenten voller Leidenschaft. Stattdessen war ich jetzt Teil eines hektischen Systems, in dem ich kaum Zeit hatte, durchzuatmen, geschweige denn, eine Verbindung zu meinen Kunden aufzubauen.

Die körperlichen Anforderungen dieser Arbeit waren enorm. Ich spürte, wie meine Schamlippen von der hohen Beanspruchung bereits wund gescheuert waren. Jeder neue Kunde brachte seine eigenen anatomischen Gegebenheiten mit, und nicht alle waren angenehm. Doch trotz des Schmerzes und der Erschöpfung wusste ich, dass das Geld stimmte und ich in einer Umgebung arbeitete, die gut organisiert war. Das Management war professionell, und ich wusste, dass ich mich darauf verlassen konnte, dass alles reibungslos verlief.

Wenn ich an die Zeit in Augsburg zurückdachte, schauderte ich. Dort musste ich bis 5:00 Uhr morgens arbeiten, und niemand hatte mir von den unzähligen Überstunden erzählt, die ich dort leisten würde. Ich hatte jedem von meinen „Besuchen“ bei einer Freundin in Regensburg erzählt, um die Wahrheit über meine Arbeit zu verschleiern. Es war einfacher, das Bild einer harmlosen Reise zu zeichnen, als die dunklen Ecken meiner Realität zu offenbaren.

Während ich in der Nacht auf dem Bett lag, hörte ich das leise Geräusch des Verkehrs draußen. Es war eine ständige Erinnerung daran, dass ich in einer lebendigen Stadt war, in der das Leben unentwegt weiterging. Ich dachte an die anderen Frauen, die wie ich in dieser Welt lebten. Wir waren alle hier, um zu überleben, und ich wollte nicht nur überleben – ich wollte auch leben.

Aber was bedeutete das wirklich für mich? Ich dachte an die Versprechen der Freiheit und der Selbstverwirklichung, die ich mir gemacht hatte, als ich nach Prag kam. War ich wirklich frei, oder war ich erneut in die Fänge eines Systems geraten, das mich kontrollierte? Die ständigen Wechsel der Kunden und die flüchtigen Begegnungen ließen mich oft an meiner Entscheidung zweifeln. Ich wollte mehr als nur ein Objekt des Verlangens sein – ich wollte eine Identität, die über die körperliche Ebene hinausging.

Eines Nachts, nach einem besonders anstrengenden Tag, saß ich mit meiner Mitbewohnerin in der Küche. Sie war eine freundliche Seele, die ebenfalls aus China kam und mir half, mich in der neuen Umgebung zurechtzufinden. „Wie läuft es bei dir?“, fragte sie mit einem aufmerksamen Blick.

Ich lächelte schwach und zuckte mit den Schultern. „Es ist anstrengend, aber das Geld ist gut“, antwortete ich. Ich sprach nicht über die Schmerzen oder die Einsamkeit, die mich manchmal überkamen. Es war einfacher, die Fassade aufrechtzuerhalten und den Schein zu wahren.

„Und was machst du, wenn du nicht arbeitest?“, fragte sie weiter.

Ich dachte einen Moment nach. Was tat ich eigentlich? Ich war so in die Routine des Arbeitens vertieft, dass ich kaum Zeit für mich selbst hatte. „Ich glaube, ich muss anfangen, mehr Zeit für mich zu finden“, murmelte ich.

Sie nickte verstehend. „Du solltest das tun. Es ist wichtig, dass du auch für deine Seele sorgst.“

In dieser Nacht, während ich in meinem Bett lag und über ihre Worte nachdachte, spürte ich, dass ich nicht nur für die Arbeit leben wollte. Ich wollte auch die Schönheit der Stadt entdecken, die mich umgab. Es war an der Zeit, einen Weg zu finden, um die Schatten meiner Vergangenheit hinter mir zu lassen und die Freiheit zu genießen, die ich mir so sehr gewünscht hatte.

Prag war voller Möglichkeiten. Vielleicht konnte ich eines Tages die Balance zwischen Arbeit und persönlichem Glück finden. Während ich die Augen schloss, um zu schlafen, versprach ich mir selbst, nicht aufzugeben und weiterzukämpfen – für die Freiheit, die ich suchte, und für die Frau, die ich sein wollte.

wird fortgesetzt ….